Rückschritt statt Aufstieg?
Jeder und jede von uns wünscht sich, dass der eigene Weg „nach oben“ führt. Wo auch immer dieses „oben“ ist und jeder definiert den eigenen Weg dorthin anders. Jedenfalls war und ist eine Führungskarriere für viele Menschen, dieser Weg. Nicht umsonst nennt man es ja auch „Aufstieg“ in der Organisation bzw. auf der Karriereleiter.
Was wir aktuell beobachten ist fast so etwas wie eine Trendumkehr bzw. eine Rückkehr der Führungsveteranen und -versehrten zu den Wurzeln des eigenen Tuns.
In vielen Recruitinggesprächen erzählen uns erfahrene Führungskräfte, dass sie in Zukunft nicht unbedingt eine weitere Führungsrolle anstreben, oder ihre Verantwortung zumindest wieder verkleinern wollen. Was auf den ersten Blick unglaublich klingt, freiwillig zurück zu steigen (auch gehaltlich), kann uns auf nähere Nachfrage meist gut erklärt werden.
Was sind die Gründe für diese Umkehr auf der Karriereleiter?
Viele fühlen sich ausgepresst und zerquetscht in der Rolle als Führungskraft, zwischen den Vorgaben von oben und den Bedürfnissen und Wünschen von unten. Ein sich halten an alle möglichen Vorgaben, Tools, Prozesse und Zyklen. Alles neben dem ganz normalen Tagesgeschäft und der Suche nach ständiger Innovation und „outside in“ Perspektive. Ein Drahtseilakt mit viel Verantwortung. Doch ist der Hut im Organigramm all diese Mehrverantwortung auch wert?
Vom Fachexperten zur Führungskraft und retour
Ja, das Führen kann einen auch verbrauchen… es hat nicht nur Sonnenseiten. In der Praxis ist es doch oft so, dass die besten FachexpertInnen zu Führungskräften gemacht werden. Wer eine hohe fachliche Kompetenz mitbringt, dem wird auch die disziplinäre Verantwortung schnell zugetraut. Man geht im Allgemeinen davon aus, dass fachliche Qualifikation auch zur Führung befähigt.
Eine solche Annahme geht aber nicht immer gut. Denn wer etwas sehr gut kann, der macht es meistens auch gerne. Bin ich dann Führungskraft, bleibt aber nicht mehr ganz so viel Zeit für meine eigentlichen operativen Tätigkeiten. Dessen müssen sich alle Beteiligten bewusst sein. Man bewegt sich von seiner eigentlichen Profession immer mehr weg. Je größer die Führungsverantwortung, desto weniger fachlicher Bezug bleibt zumeist übrig. Und dann wäre da noch das Thema mit der persönlichen / emotionalen Kompetenz, die es fürs Führen braucht… Aber das lassen wir in diesem Artikel einmal außen vor.
Als Führungskraft wirst du zum Vorturner der Nation: Du hast zu liefern und umzusetzen, was seitens der Unternehmensführung vorgegeben wird und hast die Dinge, die von oben kommen, nach unten hin mehr oder weniger gefiltert durchzugeben und vorzuleben.
Oft wirst du es gut finden, manchmal vielleicht auch nicht. Egal. Vorturner bleibt Vorturner. Irgendeiner muss es ja tun. Und mit Führung geht ein hohes Verantwortungsgefühl einher. Man fällt nicht einfach so aus der Rolle. Zum Wohle des Teams und des Unternehmens. Manchmal sind es ganz schöne Verrenkungen, die für die Persönlichkeit einer Führungskraft selbst zur Challenge werden. Aber sie bleiben dennoch in der Rolle, bis es nicht mehr geht. Man könnte fast meinen, „Turne bis zur Urne“ ist das Motto.
Und hier setzt die Trendumkehr an!
Wir beobachten, dass für viele, wie wir sie nennen, „Führungsveteranen“ irgendwann der Punkt kommt, wo sie sich so in ihren Vorturnübungen verrenkt haben, dass sie das dringende Bedürfnis nach Entknotung verspüren. Zum ersten Mal sind nun Generationen in Führungspositionen, die gelernt haben, nicht nur aufs Unternehmen, sondern auch auf sich zu schauen. Das waren wir so bisher nicht gewohnt, denn während die Babyboomer und vielleicht auch noch die Gen X noch stärker von gesellschaftlicher Verantwortung geprägt sind, sind es die Millennials, die mehr und mehr auf Sinnsuche und Selbstverwirklichung aus sind.
Und so werden Führungskräfte zu Versehrten und Konzern-Aussteigern, die dringend aus der Vorturner-Rolle aussteigen möchten, ihre Wunden lecken und nur wieder für sich selbst oder einen sehr überschaubaren Bereich verantwortlich sein wollen. Am besten in einem menschlich geprägten Umfeld.